“Raum und/oder Ort” (Zeit-spezifisch)

mit: Nika Kupyrova (A/UA) / Tom Nolan/ Frances Stacey (GB)

Vernissage: Freitag, 8. Jun, 19 Uhr

Ausstellung: 9. Juni – 24. Juni 2012

Eröffnung: Mag. Hartwig Knack (Kunsthistoriker, Kulturwissenschaftler)

Eröffnungsrede

von Hartwig Knack

Die Arbeiten von Nika Kupyrova und die der beiden englischen Künstler Frances
Stacey & Tom Nolan (die immer wieder gemeinsame Projekte entwickeln, aber nicht
ausschließlich als Duo auftreten) haben äußerlich/formal erst einmal eher wenig
miteinander zu tun. Und doch – wie sollte es auch anders sein, gibt es natürlich
Gemeinsamkeiten, ähnlich inhaltliche Ansätze.

Im Gespräch mit den drei KünstlerInnen stellt sich bald heraus, dass eine der
prägnantesten Gemeinsamkeiten in ihrer Arbeit im weitesten das Thema Alltag ist.
Alltägliche Dinge, Dinge, die uns umgeben, allseits Bekanntes, Dinge, die vielleicht
oft auch trivial oder banal daherkommen – diesen Dingen ihre Magie zu entlocken, in
diesen Dingen steckende Geheimnisse zu benennen, deren Symbolik und Codes
nachzuspüren. Das passiert auf unterschiedliche Art und Weise in den hier
ausgestellten Kunstwerken. Eine Sache, auf die auch alle Drei großen Wert legen, ist
die Möglichkeit eines freien Assoziierens. Es sollen sich bei den Kunstinteressierten
Assoziationsketten ergeben in der Auseinandersetzung mit ihren Arbeiten. Die Werke
haben also einen Anspruch großer Offenheit – das narrative, das erzählerische
Element ist ganz wichtig.

Nika Kupyrova spricht hier von ”layers of meanings”, also von Bedeutungsebenen,
die sie ihren Alltagsgegenständen, ihren Fundstücken mit auf den Weg gibt bzw.
durch deren Neukombination oder ungewöhnliche und unerwartete Kombination sie
neue Kontexte schafft. Sie hat mir erzählt, dass sie selbst gar nicht genau ergründen
will, was ihre Arbeiten alles bedeuten oder aussagen (können). Fantasie ist hier
natürlich insbesondere vom Publikum gefragt.

Ich hatte gerade den Begriff des Geheimnisses erwähnt. Sie alle kennen die
Erläuterungen auf Pralinenschachteln, diese Erklärungen, welche Praline wie
schmeckt bzw. welche Zutaten verwendet wurden usw. Solche kleinen Abbildungen
von Pralinen sind der Ausgangspunkt der drei Papierabeiten von Nika Kupyrova.
Grafisch verändert, digital vergrößert, gescannt, die Farbe herausgelöst, gerastert,
kopiert und wieder gescannt zeigt sie uns drei Pralinen, von denen wir nicht wissen
wie oder wonach sie schmecken. Der Text, die Bildlegende als Schlüssel und
Entschlüsselung des flavours fehlt. Und damit ist dieses Alltagsobjekt unserer
Begierde in den Bereich des Geheimnisses zurückgeführt. Wir wissen nicht, um
welchen Wohlgeschmack es sich handelt – wir können es uns vorstellen, wünschen,
uns Geschichten drumherum ausdenken – und schon sind wir bei dieser Offenheit,
die ich erwähnt habe, angelangt.

Nika Kupyrova hat erzählt von der Faszination, die Elektrizität schon immer auf sie
ausgeübt hat. In ganz frühen Zeiten – Blitz und Donner: Ein Wunder, ein Zeichen der
Götter. Elektrizität und Licht greift sie thematisch immer wieder auf. In Form eines
Kerzenständers zwar, der aber mit Kristallen bestückt ist, die eigentlich eher einem
Luster zuzuordnen wären. Und dieses Kristalline, Edelsteinerne ist natürlich wieder
ziemlich symbolbeladen und liefert viel Stoff für viele Geschichten. Und der Kristall –
vollendeter Träger reinen Lichts – findet sich auch in dem Objekt hier auf dem Boden.
Ich verbinde damit in diesem Zusammenhang eine Art Straßenlaterne, der
Sandhaufen lässt Assoziationen zu Bildern aus dem Film “Chocolat” zu – diese
Schokoladenberge, aus denen die köstlichsten Pralinen und Kuchen gefertigt
werden. In dem Film geht es letztendlich um sinnliches Vergnügen, um die pure Lust
am Leben, der schlussendlich auch die selbsternannten Sittenwächter dieser kleinen
Stadt erliegen. Viel Ironie liegt auch in den Arbeiten von Nika Kupyrova, wie sie mir
erzählte. Und die Lust an der Zusammenstellung dieser Ausstellung war allen
Künstlern anzusehen. Und ich wage es doch zu mutmaßen: Hier der bereitgestellte
Teller von Frances Stacey und Tom Nolan für die Köstlichkeiten der gegenüber
liegenden Seite.

Frances Stacey und Tom Nolan sehen ihre Arbeiten auch als interpretatorisch sehr
offene Arbeiten. Ihre Kunst ist eher konzeptuell angelegt und im Prozess verhaftet.
Sie sprechen auch von layers – von Bedeutungsebenen – und haben erzählt, dass
ihre Arbeit eigentlich nichts Abgeschlossenes sei. Sie sagten mir, es gebe eigentlich
keinen guten Grund, warum ihre Werke so bleiben sollten, wie sie sind. Es ist also
nichts Statisches, nichts mit Anfang oder Endpunkt, sondern eher vielleicht ein
Intervall einer zeitlichen Abfolge von Geschehnissen.

Oft lassen sie sich von dem Ort, an dem sie sich gerade aufhalten, inspirieren. Bei
Stadtspaziergängen etwa; wenn ihnen Dinge auffallen, wie beispielsweise
geschlossene Geschäfte – heruntergefahrene Jalousien, Baustellen. Die Installation
an den Fenstern der Galerie ist in diesem Zusammenhang zu verstehen. Diese
geschlossenen Räume bergen natürlich auch ein gewisses Geheimnis in sich. Im
Grunde eine romantische Idee: Ein Kästchen ist verschlossen – was verbirgt sich
wohl dahinter? Und schon entstehen symbolbeladene Geschichten. Wird das
Kästchen dann geöffnet, ist die Überraschung groß – im positiven wie auch
negativen Sinn – wie alle kennen das: Es wird ein großer Hype gemacht um eine
Blockbuster-Ausstellung, am EÖ-Tag werden die Türen aufgetan und man ist zutiefst
enttäuscht oder auch nicht.

Kommunikation ist ein großes Thema in ihrer Arbeit. Und hier auch wieder die
Offenheit im miteinander Kommunizieren, die Vielfalt in der Art und Weise, sich
auszutauschen. Über festgelegte Codes wie z.B. Pictogramme oder Handgesten
(chinesische Handgesten in einer Arbeit), das Herausfinden können von
Geheimnissen, Symboliken auf die Spur kommen (in einer Arbeit ist z.B. eine
Rorschachtafel zu sehen. Mit dem Rorschachtest (Kleksbildern) wird auf
psychologischem Weg versucht, verschütteten Dingen auf die Spur zu kommen).
Oder in den Arbeiten, in denen sie Teile ihres Email-Schriftverkehrs zeigen; mit
Bildmaterial kombiniert. Sie tauschen sich da aus über utopische Ideen, über Design,
über Lebensmodelle. Kommunikationsprozesse in Form von Emailverkehr, der nicht
abgeschlossen ist bzw. aus dem nur ein Ausschnitt aufbereitet ist. Es ist ein
ständiges vor und zurück, ein drunter und drüber, ein für und wieder. Alles bleibt in
Bewegung, Möglichkeiten werden eröffnet; Sachverhalte können in vielerlei Hinsicht
betrachtet oder diskutiert werden. Und doch sind manche Dinge in sich
abgeschlossen: Wie z.B. die Teller: Sie sind bemalt, gebrannt und prinzipiell
benutzbar. Und hier sind wir wieder bei dem every day object, bei dem
Alltagsgegenstand angelangt, in diesem Fall einem Teller, dem Inbegriff des
Produktdesigns – banaler geht es kaum – auf dem in gut ausgestatteten Haushalten
grundsätzlich Pralinen kredenzt werden, wenn die Gäste kommen. Ich glaube kaum,
dass die zwei Teller im Raum in diesem Zusammenhang zufällig so positioniert sind
wie sie positioniert sind.